Die Scheinbushaltestelle kann also helfen, die Problematik zu lösen – mit minimaler Gefahr für die Bewohnerinnen und Bewohner und auch mit wenig Arbeit für das Personal. Aber sie ist umstritten. Menschen mit Demenz, die im Heim wohnen, sind verwirrt. Und mit der Haltestelle gaukeln ihnen die Heimverantwortlichen vor, sie hätten die Möglichkeit, selbstbestimmt dorthin zu fahren, wohin sie möchten. Genau deshalb gibt es auch Kritik am Konzept der Scheinhaltestelle. Wegen der Lüge, die die Attrappe darstellt - und weil durch das Warten ohne Ende und letztlich ohne Zweck die dementen Menschen noch nervöser werden können, sagen die Kritiker.
Die Kritiker dürfen dann gerne die Suchaktion unterstützen wenn es mal wieder heißt: Bewohner vermisst.
Das habe ich mal erlebt. Im Winter, abends und mit Polizeihubschrauber im Tiefflug. Gefunden wurde die Person erst am nächsten Tag: tot.
Da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die real betroffenen Personen lieber diese Haltestellen haben.
Der Polizeihubschrauber ist oft nur die Spitze des Eisbergs, “vermisste Person” bedeutet auch gerne mal Wandertag für sämtliche Hilfsorganisationen in der Gegend. Je nachdem, wie es den Leuten geht (Demenzpatienten vergessen auch gerne mal Essen und Trinken) und wie lange sie vermisst sind, ist das Ergebnis für den Aufwand dann auch nicht immer ein positives.
Wenn man die Leute mit einer Fake-Bushaltestelle mit wenig Aufwand und zwanglos vor einem Teil der Konsequenzen ihrer Krankheit schützen kann, ist das gut, denn die Alternativen sind in der Regel ein noch schlimmerer Eingriff in die Selbstbestimmung, denn das würde in der Praxis unseres kaputtgesparten und profitgetriebenen Gesundheitswesens sowas bedeuten wie Einsperren oder medikamentös Ruhigstellen.
Der Polizeihubschrauber ist oft nur die Spitze des Eisbergs, “vermisste Person” bedeutet auch gerne mal Wandertag für sämtliche Hilftsorganisationen in der Gegend.
Absolut. Aber die Erfahrung, wie dieser Hubschrauber erst im tiefen Schwebeflug die Stille dieser winterlichen, stockdunklen Stadt zerschnitt und es dann plötzlich in meiner Wohnung gleißender Tag wurde, als der mit seinen Scheinwerfern unser Haus erwischte, hat sich mir ziemlich eingebrannt…
Ja, die Dinger haben krasse Scheinwerfer. Wobei die wirklich beeindruckende Technik, die die haben (Stabilisierte optische und Wärmebildkamera mit sehr starken Zoomoptiken), von außen eher unscheinbar aussieht.
Die Kritiker dürfen dann gerne die Suchaktion unterstützen wenn es mal wieder heißt: Bewohner vermisst.
Das können die wahrscheinlich nicht, weil sie schon der Gedanke, den Bewohner möglicherweise tot oder halbtot in seiner Scheiße liegend zu finden, schwerstens traumatisiert. Außerdem ist die Alarmierung zu einer solchen Suchaktion für die Mitwirkenden in der Regel ein sehr plötzlicher und unerwarteter Eingriff in die Selbstbestimmung, das geht also gar nicht.
Die Kritiker haben nicht einen Hauch der Ahnung, was Demenz ist und wie mit erkrankten umzugehen ist; in einer Welt in der sich jeder für einen Experten hält.
Laut Wikipedia kommt die Kritik eben nicht nur von fachfremden Personen. Nur weil der Artikel die Kritiker*innen nicht genauer benennt, müssen wir jetzt auch nicht anfangen unsere eigenes Bild auf sie zu projezieren.
Der Einfachheit halber habe ich den Absatz aus dem Wikipedia Artikel mal rauskopiert;
Das Konzept des Einsatzes von Scheinbushaltestellen in der Betreuung von Menschen mit Demenz ist in der Fachwelt umstritten. So stellt ein Kommentar in der Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen fest: „Wenn der Bus nicht kommt, werden Fragen laut wie «wann kommt der Bus endlich». Der Kranke wird eher nervös als ruhig“. Der Mensch mit Demenz werde „in seiner Krankheit nicht ernst genommen“. Steige der Pflegende darauf ein, verfestige er das Wahnerleben des Demenzkranken, verfehle dabei den Echtheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch von Carl Rogers. Das Therapieziel „Ruhe“ entlaste nur die Pflegepersonen, verfehle aber einen positiven Effekt für den Betroffenen, für den Warten zum Zweck deklariert werde.[5]
Diese Experten vergessen dabei, dass die Erkrankten ja nicht täglich da sitzen und stundenlang warten.
Diese Maßnahmen sind ein Fallback, falls einer doch mal “ausbüchst” und es dem Pflegepersonal zu spät auffällt.
Diese Experten vergessen dabei, dass die Erkrankten ja nicht täglich da sitzen und stundenlang warten.
Ich habe große Zweifel das sie sowas vergessen. Finde das irgendwie lächerlich, dass du denen so viel unterstellst hier.
Mag an der ungenügenden Wiedergabe der Kritik liegen, aber so scheint die mir sehr unkonstruktiv zu sein. Was ist denn die Alternative? Die Leute einfach laufen zu lassen? Wenn die dann irgendwo rumlatschen und sich nicht mehr zurecht finden, wird es denen wohl auch nicht besser gehen.
Als Fallback finde ich die Haltestelle auch gut. ich habe mal eine Doku über so ein “Dorf” mit Demenzkranken gesehen, welches halt so aufgebaut war, dass das halt wie ein kleines Dorf ist, welches aber auch abgetrennt ist und so konstruiert, dass sämtliche Wege Rundwanderwege sind. Das ist halt dann ganz gut, wenn die normalen Wege gar nicht erst raus führen.
Steht eventuell in der erwähnten Broschüre, die auch im Wikipedia Artikel verlinkt ist. Ich hab aber auch kein Interesse nachzuschauen was sich dort gewünscht wird, weil ich die Bushaltestelle auch ganz praktisch finde, besonders wenn es nicht genug Pflegepersonal für mitfühlendere Lösungen gibt.
Kommentar zum Thema Bushaltestellen für Demenzkranke
Eine geradezu Mode gewordene Form des inhaltlichen Eingehens auf Wahnvorstellungen ist die Errichtung von Bushaltestellen in Wohnbereichen und Gärten für Menschen mit Demenz. Damit werden Bushaltestellen an Orten eingerichtet, an denen in der Vergangenheit noch nie ein Bus gehalten hat und wo auch in Zukunft nie einer halten wird – die Haltestelle als Endstation.
Für Bushalteschilder in einem Hausflur eines Pflegeheimes oder am Wegesrand in einem Garten wird ins Feld geführt, dass der betroffene Mensch an dieser für ihn vertrauten Umgebung verharrt und vielleicht sogar zur Ruhe kommt. Es stellt sich die Frage, warum der mobile Mensch mit Demenz, der im Garten und Wohnbereich seinem Bewegungsdrang nachgehen möchte, ausgerechnet an einer Bushaltestelle zur Ruhe kommen soll. Wer auf den Bus wartet will auch busfahren. Das gilt auch für demente Menschen, bei denen mit dem Halteschild ein Wiedererkennungseffekt ausgelöst wird, denn sonst würde er sich dort auch nicht niederlassen.
Menschen, die nirgendwo hinwollen sitzen nicht an Bushaltestellen, nicht im gesunden und auch nicht im demenziell veränderten Leben. Wenn der Bus nicht kommt, werden Fragen laut wie „wann kommt der Bus endlich“. Der Kranke wird eher nervös als ruhig. Daran ändert auch die vertröstende Antwort nichts „der Bus fällt heute aus“.
Der Mensch mit Demenz wird in seiner Krankheit nicht ernst genommen. Der Pflegende steigt ein, in das psychotische Erleben seines Patienten, nimmt teil an seinem Wahnerleben, festigt ihn darin. Ein derartiges Vorgehen entspricht nicht dem in Pflege und Therapie üblichen Echtheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch von Carl Rogers. Und das in mehrfacher Hinsicht. Bei den auf den Bus wartenden Demenzkranken wird deren krankheitsveränderte Wirklichkeitswahrnehmung für andere Zwecke funktionalisiert: wäre es nicht wahrhaftiger zu sagen: gut, in der Zeit, in der unser Demenzkranker an der Bushaltestelle sitzt und wartet, hat er für uns Profis keinen Betreuungsbedarf; er ist aufgeräumt und wir können uns anderen Personen und Dingen zuwenden. Nur das hört man nicht. Stattdessen wird argumentiert, es sei besser, die Menschen mit Demenz an der Bushaltestelle warten zu lassen, als diese Menschen medikamentös ruhig zu stellen. Man staunt über die therapeutischen Alternativen, die hier eröffnet werden. Ruhe als Therapieziel: Ruhig müssen sie offenbar sein, die Demenzkranken. Warum und für wen eigentlich? Damit es ihnen besser geht oder dem Personal? Geparkt auf der Bank bei der Bushaltestelle, kann sich das Personal offenbar anderem zuwenden als dem wartenden Bewohner. Was erleben Pflegende eigentlich positiv, wenn sie von den positiven Effekten dieser Bushaltestellenattrappen berichten? Ist es das Erleben des Demenzkranken oder das eigene, das auf dessen Erlebniswelt projiziert wird?
Warten ist keine Beschäftigung. Und auch keine Therapie. Es sei denn, man bezahlt dafür Eintrittsgeld im Theater, und findet es intellektuell anregend, anderen dabei zuzusehen wie sie auf Godot warten. Jemanden vorsätzlich warten zu lassen ist deshalb eine Unverschämtheit, weil es das Mittel ist, einen Zweck, ein Ziel zu erreichen. Warten ist nie Zweck. Auch nicht in der Demenz, weil der Patient dort keinen Zweck mehr benennen kann (vgl. Niepel, A. 2009). Das von Sachweh (Sachweh, S. 2008) als letzten Ausweg relativierte Konzept der „Notlüge“ oder „therapeutischen Lüge“ wird von Lind mit der Argumentation kritisiert, im mittelschweren Stadium der Demenz vom Alzheimer-Typ gäbe es für die Betroffenen keinen Realbezug in der Unterscheidung von Wahrheit und Lüge mehr, denn die hierfür erforderlichen Hirnareale (Stirnhirnbereich der Neokortex) seien bereits abgebaut, so dass in „diesem Stadium gar nicht mehr„gelogen“ werden“ könne, sondern situationsspezifisch beruhigt und abgelenkt (Lind, S. 2008). Das sehen Demenzkranke offenbar nicht so, wenn man sie nur fragt, wie ein Gespräch mit dem 58 jährigen Demenzkranken Richard Taylor zeigt: “Menschen belügen Menschen mit einer Demenz die ganze Zeit, sie erzählen ihnen kleine Unwahrheiten. Sie nennen sie Halbwahrheiten oder Notlügen, aber es bleiben Lügen,… die ausgesprochen werden, um das Verhalten von Menschen mit einer Demenz zu manipulieren. Jede Person mit einer Demenz weiß, dass sie von Menschen angelogen wird.“(Interview mit Richard Taylor: Ich spüre, wenn man mich anlügt. In: pflegen: Demenz.11/2009 S. 15)
Es besteht die Gefahr, dass durch systematisches Täuschen und Lügen die Grundlage der Beziehung zum Menschen mit Demenz zerstört wird (Müller-Hergl, Ch. 2009; NICE-Leitlinie 42 in Kapitel 7)
Mal der betreffende Teil aus der Wikipedia Quelle (Norbert Lübke, Sybille Ziegert, Hans Gerber, Bernhard Fleer, Ernst Eben, Uwe Brucker, Jürgen Brüggemann: Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen, Herausgegeben vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS), Essen, 2009, S. 81–82. 82)
Das sind halt glaube ich zwei Dinge. Die Kritik kritisiert die Bushaltestelle, sofern sie im üblichen Aufhentaltsbereich der Bewohner ist. Der im Artikel beschriebene Zweck würde für mich eher eine Platzierung am Ausgang vom Gelände implizieren, sodass Leute, die sich vom Acker machen wollen eher da warten und wieder aufgelesen werden können.
Ich habe große Zweifel das sie sowas vergessen. Finde das irgendwie lächerlich, dass du denen so viel unterstellst hier.
Soetwas passiert halt mal, das hat nichts mit Unterstellung zu tun. Pflegepersonal ist auch nur menschlich.
Referenz: Meine Schwester ist im Pflegedienst und kann davon häufig berichten.
Ja genau und wir hier in den Kommentaren, die wahrscheinlich hauptsächlich nichtmal den ganzen Artikel gelesen haben werden natürlich jede einzelne Perspektive beachten wenn wir Kommentare schreiben, weshalb es super konstruktiv ist die Kritiker*innen zuerst als fachfremd zu bezeichnen und ihnen dann zu unterstellen, dass sie etwas vergessen haben, ohne auch nur einmal die tatsächliche Broschüre angeschaut zu haben /s
Diese Maßnahmen sind ein Fallback, falls einer doch mal “ausbüchst” und es dem Pflegepersonal zu spät auffällt.
Hierauf hatte ich mich bezogen, worauf du dich dann nicht bezogen hattest obwohl das mit eine der hauptaussagen des Kommentars gewesen war.
So viel, aha. Viel Spaß beim Lächeln.
Was will man in einem Land mit 80 Mio Fußball-Bundestrainern auch erwarten.
Es ist auch möglich DInge zu kritisieren ohne ihre Abschaffung zu fordern. EIne Kritik am Bestehenden kann eine sehr gute Grundlage sein um etwas zu verbessern oder eine bessere Alternative zu finden.
Mensch, hätte nicht gedacht das mein Dorf so fortschrittlich ist und auch schon sowas, auch ohne Pflegestätte, angeschafft hat.
Das ist eine Maßnahme des Landrats, um die Dorfjugend an der Landflucht zu hindern. Bei Smombies ist die Erinnerungsdauer auch nur sehr kurz. ;P
Irgendwie eine schöne Vorstellung, dass alle, die im Internet über den mangelnden ÖPNV bei sich in der Gegend schreien, einfach in so einer Demenz-Wohngruppe leben und auf die Fake-Bushaltestelle reinfallen
So neu ist diese Methode gar nicht, ich hab schon vor etlichen Jahren derartiges in den Medien gefunden. Ich fan schon damals diese Idee praktisch und sinnvoll, das gilt auch heute noch. Dass es damit auch Probleme geben kann, inkl. die angesprochene Verstärkung von Verwirrtheit, streite ich dabei nicht ab. Womöglich hat man manchmal nur die Wahl zwischen verschiedenen Übeln und Unanehmlichkeiten, und muss dabei abwägen, welche schwerer wiegen würde und damit verhindert werden muss. Was also ist problematischer? Verwirrte Patienten an einer Scheinhaltestell, welche ggf. noch mit Kameras überwacht wird, so dass die Patienten schnell und weitgehend gesund zurück begleitet werden können? Oder unauffindbare Patienten im unbekannten gesundheitlichen Zustand, welche nach ungewisser Zeit wie auch immer irgendwo aufgefunden werden und mit diversen Rettungsmitteln evtl. noch intensivmedizinische Behandlung müssen und schwer traumatisiert zurück kehren?
Ich mag mich aktuell auch manchmal nicht, wenn ich irgendwie verhindern muss, dass meine Mutter unkontrolliert aufsteht, einen Schritt macht und mein nächster Schritt dann der Notruf wäre, mit der Hoffnung, dass die kaputten Knochen nochmal irgendwie zusammen wachsen und nicht noch anderes hinüber ist.
Demenz ist sowas von gemeinfieserabel. 😟
Ich dachte erst es ginge um ÖPNV auf dem Land xD