Der Politologe Ulrich von Alemann analysiert im Interview die Geschehnisse von Thüringen. Und er geht der Frage nach, ob gleich mehrere Bundesländer im Osten sich bald am Rand zur Unregierbarkeit befinden.

Ulrich von Alemann, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, warnt die CDU vor einer Zusammenarbeit mit der AfD – und sieht geringe Chancen für eine Wagenknecht-Partei.

Herr von Alemann, die CDU hat in Thüringen ein Gesetz mit Stimmen der AfD durchgebracht. Ist das ein Tag, an den wir uns noch Jahre später erinnern werden?

Ja. Das ist ein Dammbruch. Die CDU hat eine Gesetzesvorlage eingebracht, von der klar war, dass sie nur mit Stimmen der AfD durchkommt. CDU-Chef Merz hat von einer Brandmauer zur AfD gesprochen. Die Brandmauer ist nur noch eine Papiertapete.

Die CDU ist in Thüringen eine Oppositionspartei. Zu deren Job gehört es Anträge einzubringen.

Keine Frage, die CDU steckt in Thüringen in einem Dilemma. Sie will sich als Oppositionspartei profilieren – und das ist verständlich. Die CDU sagt, sie könne sich ja nicht aussuchen, wer ihren Anträgen zustimme. Aber die CDU kann nicht einerseits behaupten, es gebe eine Brandmauer, und andererseits Anträge einbringen, bei denen sich absehen lässt, dass man sie nur mit der AfD durchbringt. Das geht nicht zusammen.

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Im Osten könnte die AfD aus Landtagswahlen im kommenden Jahr auch als stärkste Partei hervorgehen. Wie soll die praktische Arbeit in den Parlamenten dann noch funktionieren?

Das Ganze kann die CDU in eine Situation bringen, vor der sie – mehr oder weniger – auch schon nach der letzten Wahl in Thüringen stand. Die CDU muss sich für Kooperationen mit der Linken öffnen – wenn anders eine stabile Regierung jenseits der AfD nicht möglich ist. Hier muss gelten: Erst das Land, dann die Partei. Die Linke ist in Thüringen mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow faktisch eine links-sozialdemokratische Partei. Da so zu tun, als müsste man zur Linken Abstand halten wie zur AfD, ist doch lächerlich.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht erwägt die Gründung einer neuen Partei. Könnte sie vielleicht der AfD das Wasser abgraben?

Durch die Gründung einer Wagenknecht-Partei wird sich nur eines verändern: Sie wäre der Todesstoß für die Linkspartei, weil ein Teil der Stimmen von dort zu Wagenknecht wandern wird. Einen Riesenerfolg, gar eine Dezimierung der AfD erwarte ich aber nicht.

Warum nicht?

Wagenknecht strebt eine Partei an, die eine Mischung aus links und nationalkonservativ sein soll. Das ist eine Kopfgeburt. Als Botschaft ist das viel zu kompliziert, um damit riesige Erfolge zu erzielen. Wer rechts ist, wird weiter AfD wählen. Und wer mit seiner Wahl andere Parteien so aggressiv wie möglich vor den Kopf stoßen will, wird auch bei der AfD bleiben. Wagenknecht ist eine gute Rhetorikerin, als Parteipolitikerin ist sie maßlos überschätzt. Neue Parteien ziehen die Chaoten aller Richtungen an. Wagenknecht hat sich bisher nicht als Organisationsgenie hervorgetan. Das alles spricht gegen allzu große Chancen für eine Wagenknecht-Partei.

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  • Haven5341@feddit.deOP
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    1 year ago

    Ich glaube zu den AfD-Gestalten muss man nicht mehr viel sagen aber ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr mir Wagenknecht & Co. auf die Nerven gehen: Wie verhindere ich am effektivsten eine auch nur ansatzweise linke/progressive Mehrheit? Fragen Sie Frau Wagenknecht …

    • Geizeskrank@feddit.de
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      1 year ago

      Dass nun ausschließlich Wagenknecht zu zuschieben ist aber auch etwas dünn, da gehörte mehr dazu.

      • Ooops@kbin.social
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        1 year ago

        Klar gehört da mehr dazu, aber Wagenknecht und Kumpane sind nunmal genau die Schwurbler, die anti-Impf-Idioten und die Russland-Kuschler, die die Partei für die meisten unwählbar macht (außer für die lebenden Beispiele des Hufeisens). Ohne diese Leute hätte die Linke immer noch so manche interne Diskussion aber wäre in der Lage, die Diskrepanzen aufzuarbeiten und eine gemeinsame Linie zu finden. Mit den Typen ist die ganze Partei einfach ein verlorener Fall.

        Oder anders ausgedrückt: Die Linke ist schon immer problematisch. Aber glaubst du, dass eine Linke, die grundsätzlich gegen Militäreinsätze ist, sich zähneknirschend auf eine Regierungsmitarbeit für soziale Ziele und unter Inkaufnahme von Hilfen für die Ukraine ausnahmsweise (den russischen Angriff verurteilen sie nämlich tatsächlich) einlassen könnte?

        Wie sehen die Chancen stattdessen aus, wenn da auch noch ein ganzer Flügel offen russischer Trolle deren Propaganda wiederholt (und auch jede andere mögliche Verschwörungserzählung) und für die Frieden scheinbar bedeutet “halt still und wehr dich nicht, dann ist dein Tod weniger schmerzhaft”. Genau… willkommen bei der dauerhaft unter 5% Partei.